Neu-Isenburg gibt zu viel Geld aus, Sparmaßnahmen werden gerade beraten…das habt Ihr inzwischen sicher schon oft gehört oder gelesen. Eine Arbeitsgruppe diskutiert derzeit über die Konsolidierungspotentiale der einzelnen städtischen Fachbereiche. Und da steht natürlich auch ein Bereich auf der Tagesordnung, der dadurch in den Fokus der Einsparmaßnahmen rückt, dass er ausschließlich freiwillige Leistungen erbringt. Auch hier decken die Einnahmen nicht die Ausgaben. Und zwar nirgends, in keiner Stadt, die wir kennen.
Um das Einsparpotential beurteilen zu können, müssen wir das Ganze erstmal einordnen. Wenn wir von Ausgaben für die Kultur in Neu-Isenburg sprechen, beziehen wir uns damit auf
- die städtischen Zuschüsse für Kulturvereine und wichtige Bildungseinrichtungen wie die Musikschule und die Volkshochschule
- die vom Kulturbüro organisierten Theateraufführungen, Ausstellungen, Konzerte und Lesungen
- den Veranstaltungsbetrieb der Hugenottenhalle
- die Stadtbibliothek mit ihren drei Zweigstellen
- die beiden Museen: das Stadtmuseum Haus zum Löwen und das Zeppelinmuseum
- die Stadtbelebung, zuständig für unsere Stadtfeste und den Weihnachtsmarkt
Knapp 3 Millionen gibt die Stadt für Kultur aus. Ein Blick auf die verschiedenen Bereiche des städtischen Haushalts zeigt, dass Einsparungen bei der Kultur nicht die Rettung für unseren Haushalt bedeuten würden. Der Anteil an den Gesamtausgaben ist gering, vor allem mit Blick auf die riesigen Posten ‘Innere Verwaltung’ und ‘Kinder-, Jugend- und Familienhilfe’. Alle “kleinen” Bereiche zusammengenommen kommen etwa auf die Ausgaben des Spitzenreiters mit 26,6 Millionen.

Wer im Haushalt und im jährlichen Kulturbericht auf die Zahlen schaut, erkennt schnell: Die Höhe der Ausgaben wird stark von den Veranstaltungen und dem Betrieb der Hugenottenhalle bestimmt. Mit der Entwicklung können wir eigentlich sehr zufrieden sein, das Team hat tolle Arbeit geleistet, Besucherzahlen und Einnahmen wurden gesteigert. Unterm Strich bleibt aber immer noch ein dickes Minus.
Wo könnten wir sparen?
Auch, wenn der Kulturbereich einen vergleichsweise kleinen Posten im städtischen Haushalt darstellt – im Rahmen der Konsolidierungsrunden werden alle Fachbereiche angeschaut. Welches Potential gibt es also hier?
Rund um Hugenottenhalle und Bibliothek fallen enorme Fixkosten an, zum Beispiel die – bedingt durch das Alter der Gebäude – hohen Unterhaltungs- und Energiekosten. Hier hilft kein Zusammenflicken, Improvisieren und Eimerdrunterstellen mehr, sondern nur noch der geplante Umbau zum modernen Kultur- und Bildungszentrum.
Personalkosten einzusparen, würde den Kulturbetrieb massiv einschränken. Weniger Manpower in der Hugenottenhalle würde bedeuten: weniger Veranstaltungen, also ein stark eingeschränktes Angebot und auch weniger Einnahmen.
Die Zuschüsse für Kulturvereine sind ein im Haushalt eher kleiner Posten, dessen Streichung aber großen Schaden anrichten würde: Die Vereine, die das städtischen Angebot mit ihren eigenen Veranstaltungen bereichern, kämpfen teilweise mit sinkenden Mitgliederzahlen und mit fehlender Nachfolge für ausscheidende Vorstandsmitglieder. Wenn dann auch noch das Geld fehlt, schwindet endlich die letzte Motivation und mit ihr das letzte bürgerschaftliche Engagement für Kultur und Brauchtum.
Beliebte Stadtfeste wie das Altstadtfest, den Weihnachtsmarkt oder Open Doors möchte ebenfalls niemand gerne streichen – hier trifft sich die gesamte Stadtgesellschaft, amüsiert sich gemeinsam, lernt sich besser kennen. Das hilft uns, in Krisenzeiten zusammenzustehen, uns überhaupt erst als Gemeinschaft zu verstehen.
Wenn also die städtischen Veranstaltungen nicht kostendeckend sind – könnten wir hier nicht sparen?
Mal angenommen, wir würden sparen…
Beim Angebot des Kulturbereichs können wir ganz einfach unterscheiden zwischen
- Veranstaltungen, die Gewinn einspielen: Hier wird in der Regel die Hugenottenhalle an große Veranstalter vermietet, die überregional bekannte Musiker oder Comedians unter Vertrag haben. Oder die Stadt bucht selbst Künstler, die ein volles Haus garantieren.
- Veranstaltungen, die einen Verlust erwirtschaften: Auftritte kleinerer Theaterensembles oder weniger bekannter Musiker/Autoren. Aufführungen für Neu-Isenburger Schüler, Ausstellungen mit freiem Eintritt für alle. Die Förderung lokaler Künstler.
Klar, welche Veranstaltungen man da aus Kostengründen weglassen müsste. Und damit wäre nur noch Mainstream möglich. Wer davon abweicht oder noch keinen Namen hat, hat keine Chance – und damit haben auch die Neu-Isenburger keine Möglichkeit mehr, etwas Neues zu entdecken, sich mit Unbekanntem auseinanderzusetzen, überrascht zu werden. Künstler aus der Region können sich den Auftritt in der Hugenottenhalle nicht mehr leisten. Kreative fühlen sich in ihrer Heimatstadt nicht mehr wertgeschätzt.
Wer ein auf Profit ausgerichtetes Programm zusammenstellen will, muss groß und vor allem kommerziell denken – mit der Zusatzschwierigkeit, dass unsere in die Jahre gekommene, technisch überholte Halle für wirklich bekannte Künstler nicht mehr attraktiv ist. Und das führt uns zu der entscheidenden Frage:
Sollten wir hier überhaupt sparen? Welchen Wert hat Kultur für unsere Gesellschaft?
Die Veranstaltungen, bei denen die Stadt draufzahlt, sind meist die, die einen Bildungsauftrag erfüllen. Damit muss nicht Weiterbildung im klassischen Sinne gemeint sein, sondern manchmal auch einfach eine neue Erfahrung oder ein Angebot zur Beteiligung. Die Stadt ermöglich ihren Bürgern, etwas zu erleben, was sie vielleicht für 10 Euro mehr Eintrittsgeld oder mit 10 km mehr Anreise nicht kennengelernt hätten. Zum Beispiel laden Kulturbüro und Hugenottenhalle Neu-Isenburger Schüler ein, Theateraufführungen oder Lesungen zu relevanten Themen kostenlos zu besuchen. Für viele nicht nur der erste Besuch im Theater, sondern auch ein wichtiger Beitrag zum gesellschaftlichen Diskurs, denn hier geht es um mehr als nur das fröhliche Beisammensein. Hier geht es darum, wie wir als Gesellschaft miteinander umgehen möchten. Welche Werte uns wichtig sind. Wie wir Probleme lösen. Wie resilient wir werden. „Künstlerisch-kreative Impulse bewirken bei der Bürgerschaft, der Verwaltung und auch der Privatwirtschaft größere Sensibilität im Umgang miteinander, besonders in Konfliktfällen“, bestätigt der Deutsche Städtetag in seinem Positionspapier „Kulturpolitik als Stadtpolitik“.
In einer Gesellschaft, in der das Zusammengehörigkeitsgefühl allmählich verloren geht, in der sich jeder in seine eigene Blase zurückzieht, wird er immer wichtiger, sich auf die Ideen und Argumente anderer einzulassen. Kultur hilft uns nicht nur, uns mit unseren Mitmenschen auseinanderzusetzen und den Wert anderer Positionen zu erkennen – sie hilft auch jedem Einzelnen, sich als Teil einer Gemeinschaft zu fühlen und die eigene Position darin besser zu verstehen. Wir können, auch wenn wir nicht selbst aktiv sind, nur durch zuschauen und zuhören, schon etwas lernen:
In der Musik lernen wir andere Kulturen und andere zeitliche Epochen kennen. Wir erleben, wie die Gesellschaft sich verändert hat. Wir fühlen die Seele eines Landes, den Spirit einer Generation, den Schmerz oder die Freude des Einzelnen.
Bei einem Besuch im Theater erleben wir, wie verschiedene Positionen aufeinandertreffen, welche Konflikte und Lösungsansätze es geben kann. Wir werden aufgefordert, uns immer wieder neu damit auseinanderzusetzen, wo wir stehen. Soziale Unterschiede, Ungerechtigkeit, der Wandel einer Gesellschaft – in jedem Stück von Brecht, Schiller oder Tschechov begegnen uns Themen, die heute noch aktuell sind, die wir auf unsere Situation übertragen können.
Die Bildende Kunst lehrt uns den Umgang mit dem Unerwarteten, dem Neuen, dem nicht Berechenbaren. Wir sind begeistert oder schockiert. Wir versuchen, zu verstehen. Wir halten aus. Wir diskutieren. Was uns berührt, kann den Weg in unser Wohnzimmer finden.
In allen Disziplinen liefern Künstler wertvolle Impulse für unsere Gesellschaft. Werden wir sogar selbst aktiv, indem wir malen, musizieren oder Theater spielen, kommt noch eine weitere Dimension hinzu. Wir schaffen neue Verknüpfungen im Gehirn, wir bauen Stress ab – wir sind kreativ und haben Freude daran!
Bei der Förderung von Kunst, Kultur und kultureller Bildung handelt es sich um keine Subvention, sondern vielmehr um eine Investition – so befindet der Deutsche Kulturrat in seiner Stellungnahme zur Kulturfinanzierung von 2010. „Kunst und Kultur sind ein zentraler Lebensnerv von Städten und Gemeinden. Hier liegt die potenzielle Basis für die kreative Auseinandersetzung mit der Geschichte und mit der Zukunft der Gesellschaft. Ein lebendiges kulturelles Leben macht eine Stadt oder Gemeinde lebenswert und attraktiv. Es stiftet Gemeinschaft, bietet Anregung und Unterhaltung. Kunst und Kultur tragen wesentlich zur Identifikation mit dem Gemeinwesen bei“, heißt es weiter.
Aber nochmal zurück in die Stadtverwaltung…
Auch hier ist es für die Mitarbeiter wichtig, kreativ zu sein und aus Erfahrungen lernen zu dürfen. Wer sich entscheidet, einen Prozess probeweise zu verändern, um Optimierungspotentiale auszuloten, sollte nicht befürchten müssen, eingesparte Kosten im nächsten Haushalt aus dem Budget gestrichen zu bekommen. Damit sinkt der Anreiz, eigene Ideen einzubringen – und falls das Experiment scheitert, fehlt zukünftig sogar Geld für wichtige Projekte.
Die Stadt beschäftigt im Bereich Kultur qualifizierte und engagierte Mitarbeiter mit guten Ideen. Die Politik kann diese bei ihrer Arbeit unterstützen, indem sie ihre Fachkompetenz anerkennt und ihnen über die festgesetzten Budgets auch Spielraum zugesteht. Das öffnet Türen, statt sie zu verschließen, und ermöglicht auch den Neu-Isenburgern Zugang zu neuen Räumen. Bei den kommenden Beratungen zu Einsparmaßnahmen sollten wir daher stets bedenken, was für ein großer Schaden hier angerichtet werden kann. Die Investition in Kultur bekommen wir an anderer Stelle zurück: Im Idealfall durch höhere Gewerbesteuereinnahmen, da eine Stadt mit abwechslungsreichem Kulturangebot auch als Wirtschaftsstandort attraktiver wird. Ganz sicher aber durch glücklichere Bürger.











[Kati Conrad, Oliver Hatzfeld]
Dies ist ein privates Blog. Wir sind Mitglieder der CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung, schreiben hier aber nicht im Namen der Fraktion oder der Partei.