…und sollte auch von allen mitgestaltet werden.
Diesen Artikel haben wir für die Juni-Ausgabe der Stadtillustrierten ‘Isenburger’ geschrieben.
Die Stadt Neu-Isenburg feiert ihr 325-jähriges Bestehen. Das gibt in diesem Jahr bei vielen Gelegenheiten den Anlass auf historische Herausforderungen zu schauen und sich über bisher Erreichtes zu freuen. Andererseits findet sich die Gesellschaft in Deutschland aktuell in einer unsicheren Lage wieder. Krieg, Klimawandel, Energiekrise, Migrationsströme, Integrationsprobleme, Inflation und schlechte wirtschaftliche Perspektiven führen zu Spannungen und Zukunftsängsten. Solchen globalen Herausforderungen zu begegnen, ist für jeden Einzelnen ziemlich abstrakt. Bei dem Versuch, irgendwo anzusetzen, besteht für uns die Gefahr, dass wir angesichts der riesigen Herausforderungen resignieren. Der Schlüssel zur Verbesserung der Welt scheint darin zu liegen, im Kleinen anzufangen: vor der eigenen Haustür, in der eigenen Stadt. Wie kann es einer kleinen Kommune gelingen, den Blick nach vorne zu richten? Und vor allem: Wie verständigen sich Bürger, Verwaltung und Kommunalpolitik auf eine gemeinsame Perspektive? Und das mit all den unterschiedlichen Betroffenheiten und Vorstellungen, wie Probleme gelöst werden sollten?
Die Politik scheint am Zug zu sein, die Bürger zu informieren und mitzunehmen – doch die Entscheider sehen sich häufig selbst mit Unsicherheiten konfrontiert, fürchten schwierige Fragen der Bürger und die Polemik der Partei-Konkurrenz. Statt die eigene Position offen zur Diskussion zu stellen, bereit dafür zu sein, Neues aufzunehmen, und Kompromisse anzustreben, wird der politische Gegner diffamiert, die offene Auseinandersetzung vermieden. Der vom Rand aus zuschauende Bürger wendet sich enttäuscht ab oder macht seine Unzufriedenheit durch Protestwahl deutlich. Und auch die Politiker selbst protestieren und demonstrieren – gegeneinander! Wer gut oder böse, rechts oder links, ein „Nazi“ oder ein „langhaarischer Bombeleescher“ ist, wird Gegenstand politischer Kundgebungen in vielen Städten. Wir drängen uns gegenseitig immer weiter in unsere jeweiligen Ecken und verlieren den Blick darauf, dass Herausforderungen in einer Stadt nur selten mit Hilfe von politischen Ideologien und Parteiprogrammen gelöst werden. Hier ist für Politiker vor allem der Dialog angesagt – untereinander und mit den Bürgern.
Nötig wäre eine gesellschaftliche Debatte über die gemeinsame Zukunft – darüber, wie wir langfristig als Gesellschaft zusammenleben möchten, um die Stärkung der extremistischen Lager zu verhindern. Hier muss die Politik mehr Diskussion zulassen und Meinungsfreiheit respektieren, um die Demokratie und den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder zu stärken. Auch, wenn es manchmal schwerfällt!
Wie kann die Kommunalpolitik die Bürger mitnehmen?
Über Krieg und Frieden oder die globale Wirtschaftslage wird nicht in Neu-Isenburg entschieden, aber auch hier stehen große und herausfordernde Projekte zur Umsetzung an. Auch hier möchten die Bürger verstehen, wie Entscheidungen zustande kommen. Sind sie plausibel? Welche Prioritäten sollen gesetzt werden? Wie werden verschiedene Interessen berücksichtigt?
Wir möchten uns anhand der aktuell bedeutendsten Zukunftsprojekten anschauen, wie die Bürger einbezogen sind und wo die Kommunalpolitik vielleicht noch mehr tun kann.
Regionaltangente West (RTW)
Dass die RTW kommen soll, darüber herrscht in den im Stadtparlament vertretenen Fraktionen grundsätzlich Einigkeit, abweichende Meinungen gibt es lediglich bei der Form der Umsetzung (Endhaltestelle, Beteiligung an der RTW GmbH, etc.). Die Bahnstrecke, die den Neu-IsenburgerBahnhof entlang der Carl-Ulrich-Straße/Friedhofstraße mit dem Birkengewann verbinden soll, wird seit Jahrzehnten geplant und lange Zeit war völlig unklar, ob das Projekt am Ende tatsächlich realisiert werden kann. Seit 2018 ist das Ganze für Neu-Isenburg wesentlich konkreter geworden, die Stadt ist der Planungsgesellschaft beigetreten, hat sich zu einem finanziellen Anteil an der Umsetzung verpflichtet und eine Streckenführung bis ins Birkengewann beschlossen. Aktuell wird mit erheblichen, bisher noch nicht konkret bezifferten Kostensteigerungen und Verzögerungen im Zeitplan gerechnet.
Der Entscheidung zu einer ersten Entwurfsplanung sind mehrere Bürgerversammlungen und auch Gestaltungsworkshops vorangegangen. Eine Bürgerinitiative gegen das Vorhaben hat sich gegründet und ihre Bedenken in mehreren Gesprächen mit den im Stadtparlament vertretenen Fraktionen und in den sozialen Medien vorgebracht. Das Parlament hat in mehreren Sitzungen öffentlich dazu beraten und mehrere Fragenkataloge eingebracht, die von den Fachplanungsbüros detailliert beantwortet wurden. Schließlich wurde 2019 einer erheblich verbesserten Entwurfsplanung zugestimmt.
Sind die Bürger daher bei diesem Projekt gut mitgenommen worden? Nur teilweise! Aufgrund des aus damaliger Sicht noch langen Realisierungszeitraums – optimistische Planungen gehen von einem Betrieb ab 2028 aus – hatte das ganze Projekt noch nicht für alle Bürger die notwendige Relevanz. Besonders Anlieger der Strecke hatten sich für das Projekt interessiert und ihren Widerspruch artikuliert. Die Kommunalpolitik hat zwar die Bedenken aufgenommen und abgewogen, die Zustimmung der RTW-Gegner aber nicht erreichen können. Für die große Mehrheit der Neu-Isenburger war das Projekt noch zu weit weg, zu abstrakt oder sogar völlig unbekannt. Erst seitdem die ersten Baumaßnahmen sichtbar sind, nimmt das Interesse an der RTW zu. Und hier genau liegt eine der großen Schwierigkeiten der Bürgerbeteiligung: Erst, wenn zahlreiche grundlegende Entscheidungen bereits getroffen sind, erreicht ein Projekt breite Aufmerksamkeit. Wichtig ist, dass die Kommunalpolitik den Dialog jetzt nicht als beendet betrachtet, sondern die Bürger weiter aktiv einbezieht und dort, wo es noch möglich ist, auf neue Anforderungen reagiert.
Stadtumbau
Neu-Isenburg nimmt seit 2018 am Förderprogramm ‚Wachstum und nachhaltige Erneuerung’ teil. Das Programm ist auf 10 Jahre ausgelegt und sieht Fördermittel in Höhe von 10 Millionen Euro vor, um den Innenstadtbereich aufzuwerten. Unter dem Motto „Vom Alten Ort zur Neuen Welt“ sind in verschiedenen Beteiligungsformaten mit Bürgern, lokalen Partnern, Kommunalpolitikern und Fachplanern Ideen formuliert worden, wie für den Alten Ort und die Frankfurter Straße eine höhere Aufenthaltsqualität erreicht werden kann. Es haben Ortsbegehungen und Workshops stattgefunden, Flyer wurden verteilt, eine eigene Webseite eingerichtet. Zur Gestaltung des Marktplatzes wurde eine Online-Befragung zu vier verschiedenen eingereichten Gestaltungsvorschlägen durchgeführt.
Trotz des großen Kommunikationsaufwands müssen wir in Gesprächen mit Bürgern feststellen, dass das Programm völlig unbekannt ist. An der Online-Umfrage zur Marktplatzgestaltung nahm nur ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung teil. Für die Inhalte des Projektes interessieren sich die Bürger aber sehr wohl. Ein Beispiel ist der Alte Ort mit seinem schlecht begehbaren Pflaster. Wegen der fehlenden Parkplätze wünschen sich viele eine auch mit Rollator, Gehstock, Kinderwagen oder Rollstuhl gut passierbare Verbindung vom Wilhelmsplatz zum Marktplatz. Dass ein barrierefreies Pflaster im Alten Ort Teil des Programms ist, ist den Meisten unbekannt.
Auch hier gilt: Projekte mit langer Laufzeit verlieren an Aufmerksamkeit, besser sind schnelle, kleinere Umsetzungen, die auch die Gelegenheit bieten erste Rückmeldungen zu erhalten und Anpassungen vorzunehmen, bevor das komplette Projekt abgeschlossen ist. Tatsächlich ist bisher viel Aufwand für Untersuchungen und Analysen verwendet worden, konkrete Veränderungen sieht man bisher nicht. Auch fehlt ein Entwurf des Zielzustands, der erst noch erarbeitet werden muss. Damit ist eine für den Bürger interessante Kommunikation schwer erreichbar.
Kultur- und Bildungszentrum
Die in die Jahre gekommene Hugenottenhalle soll zu einem Kultur- und Bildungszentrum umgebaut werden, einem ‚Dritten Ort’. Bei dem 2019 gestarteten Projekt sollen außerdem Musikschule, Volkshochschule und Kulturbüro integriert werden, ein interdisziplinäres Angebot mit offener Raumgestaltung und angenehmer, inspirierender Atmosphäre soll entstehen. In Kombination mit Gastronomie soll das Kultur- und Bildungszentrum auch ohne konkreten Anlass zum Besuch einladen und für jeden eine niederschwellige Möglichkeit bieten, Kultur zu genießen und Bildungsangebote wahrzunehmen.
Die Diskussion fand bisher hauptsächlich im politischen Raum statt, auch weil ein konkreter Entwurf erst noch durch einen Architektenwettbewerb erarbeitet werden muss. Dieser Wettbewerb läuft gerade, ein Sieger wird Ende August ermittelt.
Um das Projekt bei den Bürgern bekannter zu machen und den Austausch zur Gestaltung zu fördern, gründete sich Anfang des Jahres auf Initiative des ehemaligen Kulturdezernenten Theo Wershoven ein Verein zur Unterstützung des Projekts. Für die Kommunalpolitik ein Glücksfall, ihre Kommunikation fällt bei den Vereinsmitgliedern auf fruchtbaren Boden und wird über diese Multiplikatoren weiter verteilt. Rückmeldungen können schneller zurückfließen und Einfluss auf weitere Entscheidungen nehmen.
Haushaltskonsolidierung
Seit dem Herbst 2023 ist der Öffentlichkeit bekannt geworden, dass für den Haushalt der Stadt Einsparmaßnahmen notwendig sind, die auch entscheidend für die Umsetzbarkeit der hier beschrieben Zukunftsprojekte sein werden. Neu-Isenburg leistet sich bisher mehr als andere Städte im Kreis. An der Kürzung einiger freiwilligen Leistungen wird sicher kein Weg vorbeiführen. Hier wäre eine gemeinsame Zielvorstellung der Fraktionen untereinander wünschenswert – Respekt vor den jeweiligen Prioritäten und ein gemeinsames Verständnis dafür, dass durch diese Maßnahmen die Zukunft unserer Stadt gesichert wird.
Bisher ist es in der öffentlichen Kommunikation der Kommunalpolitiker allerdings sehr still, was den Stand der Konsolidierung angeht. Eine Arbeitsgruppe aus Verwaltung und Mitgliedern des Haupt-, Finanz- und Digitalisierungsausschusses berät nicht-öffentlich. Für die Bürger bleibt das Thema undurchsichtig. Bekannt ist nur, dass Steuererhöhungen drohen könnten. Zugegeben, der städtische Haushalt ist ein Thema, für dass sich „normale“ Neu-Isenburger nur schwer begeistern lassen – ist es doch sogar für die zuständigen Politiker kompliziert und eher unangenehm. Die Auswirkungen der Einsparmaßnahmen treffen jedoch uns alle.
Politiker brauchen Mut, bei diesem Thema voranzugehen und Ziele zu formulieren an denen siehinterher gemessen werden. Andererseits: Ist das Ziel für die Mehrheit der Bürger nachvollziehbar und plausibel, schafft das Vertrauen und erhöht die Bereitschaft, unliebsame Maßnahmen mitzutragen – selbst dann, wenn die Ziele vielleicht nicht zu 100 Prozent erreicht werden.
Was bedeutet das für uns?
Politikverdrossen sind die Neu-Isenburger nicht – sie sind interessiert und möchten sich gerne einbringen. Der Impuls dazu kommt aber häufig erst, wenn eine direkte Betroffenheit vorliegt, wenn der Bagger bereits vor der Haustür steht und viele große Entscheidungen schon getroffen sind. Frühe Bürgerbeteiligungen stoßen auf geringes Interesse, sind oft noch „zu weit weg”. In einigen Städten wurden gute Ergebnisse mit Bürgerräten aus zufällig ausgewählten Bürgern erzielt – so zum Beispiel in Kassel zum Thema Smart City. Durch den bunten Querschnitt durch alle Alters- und Berufsgruppen wird die gesamte Bevölkerung repräsentiert, nicht nur die ohnehin bereits Engagierten. Wer sich bewusst ist, seine gesamte Stadt zu vertreten, übernimmt auch Verantwortung und arbeitet sich gerne ein. Allerdings – genau das tun die gewählten Kommunalpolitiker auch. Egal, wer mit wem spricht, Politiker, Bürger, Stadtverwaltung: Wichtig ist die Bereitschaft, frühzeitig den Dialog zu suchen und nicht nur nachträglich die getroffenen Entscheidungen zu vertreten oder zu kritisieren. Für die Bürger bedeutet das, sich mit Fakten zu beschäftigen, auch wenn sie komplexer oder mal etwas langweilig sind. Für die Politiker bedeutet es, offen und ansprechbar zu sein und das Votum der Bürger parteipolitischen Interessen auch mal voranzustellen. Wenn dazu alle bereit sind, kann eine gemeinsame Vorstellung entstehen, wie unsere Stadt sich entwickeln sollte. Das wünschen wir uns.
[Kati Conrad, Oliver Hatzfeld]
Zuerst erschienen in der Stadtillustrierten ‘Isenburger’ im Juni 2024. Dies ist ein privates Blog. Wir sind Mitglieder der CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung, schreiben hier aber nicht im Namen der Fraktion oder der Partei.