Endlich! Die Tage werden wieder länger und wir können immer häufiger sommerliche Momente in der Stadt genießen, spazierengehen, Fahrrad fahren und mit einem Glas Wein in der Hand in die Sonne blinzeln. Doch etwas ganz Wichtiges fehlt: unser Biergarten unter den alten Kastanienbäumen in der Bahnhofstraße – der Treffer. Plötzlich war er einfach verschwunden, ohne Abschied und ohne Erklärung. Und wir vermissen mehr als Apfelwein, Allgäuer Büble, Frankfurter Schnitzel und Handkäs‘ – uns fehlt im wahrsten Sinne des Wortes unser ‚Treffpunkt‘.
In Biergärten sitzen Menschen nebeneinander, die sich sonst vielleicht nie begegnet wären: Studenten und Rentner, Handwerker und Professorinnen, Freunde und Zufallsbekanntschaften. Ein Tisch wird – anders als im Restaurant – mit anderen geteilt. Was uns im Alltag oft trennt, wird hier unwichtig: Beruf, Alter, Herkunft, Status. Und hier diskutiert auch die Stadtpolitik nach den Sitzungen auf einmal ganz ungezwungen weiter, unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Wir alle genießen gemeinsam die Freude an der Sonne, an einem Getränk, am Draußensein, an Geselligkeit. Der Biergarten wird zum Abbild einer vielfältigen Stadt und wir alle werden zu etwas, das in der heutigen Zeit immer mehr verlorengeht: zu einer Gemeinschaft.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der sich verschiedene Gruppen zunehmend voneinander entfernen und sich in eigene Blasen zurückziehen – einer Gesellschaft, die immer größere Schwierigkeiten hat, andere Meinungen zu akzeptieren und sich damit auseinanderzusetzen. Viel zu schnell landen wir heute in Schubladen oder stecken andere hinein. Wir hören nicht mehr richtig zu und hinterfragen auch die eigene Meinung nicht mehr. Wer bestimmte Ansichten vertritt, bekommt ganz schnell ein Etikett: ‚Nazi‘, ‚linksgrüner Spinner‘,‚Verschwörungstheoretiker‘, ,Kommunist´, ,Kapitalistenschwein´…und die Schublade wird geschlossen. Gleichzeitig ist der so Eingeordnete damit für eine sachliche Diskussion disqualifiziert, denn ihm wird unterstellt, auf Basis falscher Motive zu argumentieren.
Wir sind bereit, Einschränkungen der Meinungsfreiheit und der Demokratie hinzunehmen, um uns mit unliebsamen Meinungen nicht mehr auseinandersetzen zu müssen. Wir bewerten andere Personen pauschal, noch bevor wir uns mit ihren Ansichten, mit ihren Sorgen und Problemen beschäftigt haben. Aus unserer Geschichte haben wir gelernt, wozu es führen kann, wenn eine große Anzahl der Bürger verärgert ist und existenzielle Sorgen hat. Wenn dafür „Lösungen“ versprochen werden. Doch unsere Schlussfolgerung daraus sollte nicht sein, die heute unzufriedenen Menschen aus der Gemeinschaft auszuschließen und immer weiter in eine Ecke zu drängen, in der sie vielleicht gar nicht sein wollten. Stattdessen sollten wir wieder anfangen, zuzuhören. Zu diskutieren und zusammen nach Lösungen zu suchen. Ein gemeinsamer Nenner, auf dem man ein Gespräch aufbauen kann, lässt sich immer finden, auch wenn er nur ganz klein ist. Und genau dafür brauchen wir Biergärten! Und dafür braucht auch die Politik Biergärten: um außerhalb des Plenarsaals gemeinsame Positionen zu finden. Aktuell haben wir viele Herausforderungen zu bewältigen, die es erfordern, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, wo wir hinwollen.
Wir wünschen uns, dass für unseren Treffer eine Lösung gefunden werden kann. Und falls nicht, dann sind wir alle am Zug, ein bißchen Treffer-Mentalität in unseren Alltag zu integrieren. Uns wieder unvoreingenommen zu begegnen und öfter mal gut gelaunt in die Sonne zu blinzeln.
[Kati Conrad, Oliver Hatzfeld]
Dieser Artikel wurde ursprünglich veröffentlicht in der Stadtillustrierten ‚Isenburger‘, Ausgabe Juni 2025.