Kultur vernetzen – wie machen‘s die Anderen?

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Was wir für den Umbau der Hugenottenhalle von anderen Städten lernen können

Der Computer wird nicht mehr mit Lochkarten gefüttert, wir telefonieren nicht mehr in Telefonzellen, das Internet hat sich entgegen anders lautender Einschätzungen nun doch weitgehend durchgesetzt – und auch das Angebot von Kultur entwickelt sich mit dem gesellschaftlichen und technischen Wandel weiter.

Wo früher Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Freizeitangebote und Kulturveranstaltungen separat nebeneinander standen, werden heute integrative und interdisziplinäre Räume mit hoher Aufenthaltsqualität gesucht – sogenannte Dritte Orte, oft als Kultur- und Bildungszentren bezeichnet. Unser Zuhause wird dabei als der erste Ort angesehen, unser Arbeitsplatz als der zweite. Ein Dritter Ort bietet einen Ausgleich zu Familie und Beruf, steht Bürgern aller Generationen offen und lädt als eine Art ‚Wohnzimmer der Stadt‘ zum Entspannen und Lernen, zum Kommunizieren und Experimentieren ein. Verschiedene Disziplinen aus dem Bereich Kultur und Bildung finden hier unter einem Dach zusammen, vernetzen sich und laden die Bürger herzlich zum Mitmachen ein.

Ein solcher Dritter Ort soll auch in Neu-Isenburg entstehen. Die Hugenottenhalle ist in die Jahre gekommen und dringend sanierungsbedürftig, für den von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Umbau liegt ein Entwurf des Architekturbüros aff aus Berlin vor, der Elemente der bestehenden Gebäude integriert, erweitert und miteinander verbindet. In dem geplanten Gebäudekomplex sollen nicht nur die Veranstaltungshalle und die Stadtbibliothek, sondern auch die Volkshochschule, die Musikschule und das Stadtarchiv einen Platz finden.

Über den Tellerrand zu schauen und von Erfahrungen anderer Städte zu profitieren, erscheint uns bei einem so ambitionierten Projekt extrem wichtig – doch Zentren dieser Art, wie man sie beispielsweise in den Niederlanden schon findet, gibt es in Deutschland bisher noch nicht. In unserer Region finden wir aber zwei Beispiele, die für uns interessant sind. Die haben wir uns angeschaut.

Die VILCO Stadthalle in Bad Vilbel

Dieses Veranstaltungszentrum liegt in der Altstadt direkt neben dem Kurhaus, nur weniger Meter entfernt von der Stadtbibliothek. Es wurde im April 2023 eröffnet, der Neubau inklusive Tiefgarage und Restaurierung des Kurhauses kostete Stadt rund 80 Millionen Euro. Die Halle wird privat von der spaces mgt GmbH betrieben, die den operativen Betrieb der Veranstaltungsstätte übernimmt und eine monatliche Pacht sowie eine Umsatzbeteiligung an die Stadt Bad Vilbel zahlt. Diese stellt als Eigentümerin die Infrastruktur bereit. Uns hat interessiert, wie die Privatisierung sich auf den Betrieb ausgewirkt hat und ob – wie wir gehört hatten – die kommerzielle Nutzung die Verfügbarkeit für Vereine einschränkt. 

Unsere Recherchen begannen beim Betreiber, der spaces mgt GmbH. Das Unternehmen hat seinen Sitz in Offenbach und war vor Ort in Bad Vilbel nicht verfügbar. Man verwies uns an die Stadtverwaltung. Dort war aber über mehrere Tage zu normalen Bürozeiten und unter mehreren Telefonnummern (darunter das offizielle Kartenbüro) niemand zu erreichen. Schließlich sind wir einfach hingefahren. 

Noch vor dem Gebäude trafen wir einen Besucher aus Frankfurt, der sich lautstark darüber beschwerte, dass das Gebäude ja „wie ein Bunker“ aussieht – und er hatte irgendwie recht. Auf Anhieb ließ sich bei dem riesigen Klotz nicht mal erkennen, wo der Haupteingang ist – und der war dann verschlossen! Der sehr hilfsbereite Security-Mitarbeiter Edmund versuchte zwar, einen Ansprechpartner für uns zu finden, doch es war niemand von der Verwaltung anzutreffen und wir mussten draußen bleiben. Außerhalb von Veranstaltungen ist der riesige Komplex einfach zu! Interessant schon deswegen, weil das Bürgeramt, das sich nebenan (baulich verbunden) im Kurhaus befindet, tagsüber auf den barrierefreien Zugang über die VILCO verweist. 

Wir zogen weiter, um uns mal die Stadtbibliothek schräg gegenüber anzuschauen…und wie sich herausstellte war das der Ort, den wir eigentlich in der VILCO anzutreffen gehofft hatten. Ein modernes, einladendes Gebäude direkt an der Nidda – die einzige Bibliotheksbrücke Europas, ausgezeichnet mit einem Architekturpreis. Ein Café gibt’s unten im Gebäude. In der Bibliothek finden Kulturveranstaltungen für bis zu 200 Personen statt, wofür extra alle Bücherregale auf Schienen montiert wurden und so verschoben werden können. Es gibt einen großen Bereich für Kinder. Medien können kontaktlos mittels RFID-Technologie selbst ausgeliehen und zurückgegeben werden.

Auch Getränke und Snacks aus dem Café unten dürfen überall im Gebäude verzehrt werden. Die Tür, die das Café mit der Bibliothek verbindet, blieb allerdings geschlossen. Und genau das, Verschlossenheit, scheint auch das übergeordnete Thema in der Bad Vilbeler Kultur zu sein. Denn: Hier ist eigentlich alles vorhanden. Eine tolle Bibliothek, ein Café, eine moderne Veranstaltungshalle, ein Kurhaus, in dem kleine Konzerte stattfinden – und das alles in bester Lage! Ringsherum eine Fußgängerzone, Gastronomie, Einzelhandel, Wasser und ein Park. Doch eine Zusammenarbeit zwischen den Bereichen konnten wir nicht erkennen. Uns schien es so, als würde sich das eigentliche Herzstück, die VILCO-Halle, gegen eine Vernetzung verschließen. Obwohl sogar eine gemeinsame Website die Kultureinrichtungen digital verbindet, gibt es in der echten Welt keine integrativen Angebote und keine Einladung, die Veranstaltungen nebenan zu besuchen. Die Beteiligten scheinen einfach nicht zusammenzufinden. Ob der private Betrieb der VILCO sich auf Vereine oder auf das nichtkommerzielle Kulturangebot auswirkt, konnten wir nicht herausfinden, da niemand erreichbar und das Haus verschlossen war. Und das ist ja irgendwie auch eine Antwort.

Unser zweites Ziel war…

Das Kulturforum in Hanau

Die 2015 neu gebaute Bibliothek bezeichnet sich selbst als Dritten Ort und erfüllt die von Bibliothekswissenschaftler Art Voos definierten Kriterien auch größtenteils: Das Kulturforum ist nicht kommerziell ausgerichtet, es ist niedrigschwellig zugänglich, offen, multifunktional, fördert Partizipation und Gemeinschaft. Lediglich beim Kriterium der Aufenthaltsqualität würden wir an einigen Stellen Abstriche machen: Teppiche, Decken und Toiletten erinnern eher an öffentliche Gebäude in den 70ern. Das Lesecafé wird nur noch zur Selbstbedienung am Kaffeeautomaten genutzt, Gastronomie gibt es nicht. Diese kleinen Schönheitsfehler werden aber an anderen Stellen wieder ausgeglichen. So laden im Kinder-Bereich zum Beispiel tolle Baumhäuser aus Holz zum Lesen, Spielen und Ausruhen ein, Lerngruppen finden überall zwischen den Regalen Platz.

Auf den rund 6.400 qm nimmt die Bibliothek den größten Raum ein und entwickelt sich ständig weiter. So wurden zum Beispiel nachträglich vollverglaste Kabinen eingerichtet, in denen man die Tür schließen und ungestört arbeiten kann. Auch Ladestationen für mobile Geräte kamen nachträglich hinzu. Es gibt einen Makerspace mit 3D-Druckern, einen Gaming Raum, eine Medienwerkstatt, einen digitalen „Klassenraum“ und eine Bibliothek der Dinge, wo Geräte wie E-Book-Reader ausgeliehen werden können. Außerdem sind das Stadtarchiv, die Wetterauische Gesellschaft und der Hanauer Geschichtsverein im Gebäude zu Hause.

Ein Dritter Ort soll vor allem dazu einladen, sich dort wohlzufühlen, zu lernen und kreativ zu sein. Der Standort dafür wurde bewusst mitten in der Innenstadt gewählt. Und das Konzept geht voll auf. Leiterin Dr. Esther Mikuszies berichtete uns, dass die Nutzerzahlen sich gegenüber dem früheren Standort am Alten Schlossplatz auf rund 400.000 Besucher verdoppelt haben. Workshops am 3D-Drucker sind fast immer ausgebucht, der Platz für Lerngruppen wird vor wichtigen Prüfungen knapp, Angebote in den Ferien wie z.B. die Gestaltung digitaler Brettspiele oder ein Escape Room werden rege genutzt. Dabei sind die 20 ehrenamtlichen Mitarbeiter, von denen einer sogar täglich Mathe-Nachhilfe anbietet, nicht mehr wegzudenken.

Zum Abschluss unseres Rundgangs wollten wir natürlich erfahren, ob noch Wünsche offen sind, ob im laufenden Betrieb irgendetwas fehlt. Frau Dr. Mikuszies  wünscht sich mehr Möglichkeiten für Workshops und würde das Angebot gerne erweitern, zum Beispiel um über Künstliche Intelligenz und Deep Fakes zu informieren. Auch Besprechungsräume fehlen, sie werden häufig nachgefragt. Auf unsere Frage, worauf wir denn in Neu-Isenburg besonders achten sollen, kommt sofort die Antwort: viele, viele Steckdosen! 

Das Kulturforum gefällt uns super, wir wurden herzlich empfangen und empfehlen allen Neu-Isenburgern, einfach mal hinzufahren. Die Vernetzung der einzelnen Bereiche ist auf einem guten Weg und wird sich sicher im Laufe der Zeit noch intensivieren. Nur das gastronomisches Angebot fehlte uns – die Notizen zum Artikel machten wir im Bistro nebenan. 

Fazit

In Bad Vilbel und in Hanau haben wir gesehen wie unterschiedlich mit dem Thema Zusammenführung und Integration des kulturellen Angebots umgegangen wurde. Vernetzung ist dabei immer der erste und wichtigste Entwicklungsschritt. Welchen Mehrwert die Zusammenführung verschiedener Informationen und Funktionen an einer Stelle uns bringen, erleben wir täglich in der digitalen Welt.

Die Verknüpfung verschiedener Kultur- und Bildungsangebote lässt sich bei geeigneter Raumplanung und entsprechender Organisation in einem Gebäude realisieren, und ein ganz neues Angebot entsteht. Vielseitigkeit und ein niedrigschwelliger Zugang werden gut angenommen und gelobt. Mut zur Zusammenführung und Integration wird belohnt. Eine Trennung und verschlossene Türen führen eher zu einer Ablehnung durch die Bürger und blockieren damit auch die Identifikation mit der Stadt und ihrer Kultur.

All das, was wir uns in Bad Vilbel wünschen würden und was uns in Hanau gefallen hat, ist im ausgewählten Siegerentwurf für den Umbau unserer Hugenottenhalle und Stadtbibliothek bereits enthalten. Hier wurden Synergie-Effekte berücksichtigt und gemeinsame Bereiche eingeplant in eine offene Architektur, die behutsam mit der bestehenden Halle umgeht. Nun müssen wir das Projekt nur noch umsetzen.

[Kati Conrad, Oliver Hatzfeld]

Info: Alle Informationen zum Kulturforum in Hanau gibt‘s auf www.kulturforum-hanau.de, Besucher sind herzlich willkommen. Auch die Stadtbibliothek in Bad Vilbel ist einen Ausflug wert: www.kultur-bad-vilbel.de/stadtbibliothek.

Dieser Artikel erschien zuerst in der September-Ausgabe der Stadtillustrierten ‚Isenburger‘.

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