Unser Stadtparlament wurde gewählt, um im Sinne der Bürger Entscheidungen zu treffen. Sich in diese Prozesse einzubringen ist aber für die Neu-Isenburger bisher gar nicht so einfach. Dieses Thema beschäftige auch die vielseitig engagierte Gisela Mauer, die als Zuschauerin in der letzten Sitzung des Haupt-, Finanz- und Digitalisierungsausschusses anwesend war. Dort haben Bürger/innen zu Beginn die Möglichkeit, Fragen zu Themen zu stellen, die nicht auf der Tagesordnung stehen. Frau Mauer sprach dort etwas an, das ihr Sorgen macht: Wie können Bürger besser an politischen Prozessen beteiligt werden? Ihrer Meinung nach fehlt es dazu an Möglichkeiten. Sie zählte auf:
1. Die öffentlichen Bekanntmachungen der Stadt, in denen man sich über bevorstehende Sitzungen und ihre Tagesordnungen informieren konnte, waren früher in der ‚StadtPost‘ zu finden, jetzt nicht mehr.
2. Wie kommen Plenarsaal-Besucher an die Sitzungsunterlagen? Sie werden nicht mehr in Papierform zu den Sitzungen bereitgestellt.
3. Laut Hessischer Gemeindeordnung (HGO) sollte es mindestens eine Bürgerversammlung pro Jahr geben. Wie wird das derzeit umgesetzt?
4. Frau Mauer bezog sich auf Paragraph 8c der HGO, um die Beteiligung älterer Menschen zu fördern. Wie kann das umgesetzt werden?
5. Sitzungen könnten aufgezeichnet und digital zur Verfügung gestellt werden, wie steht das Parlament dazu?
Aus unserer Sicht ist eine gute Kommunikation zwischen Politik und Bürgern mit dem regen Informationsaustausch in beide Richtungen die Voraussetzung für die erfolgreiche gemeinsame Weiterentwicklung unserer Stadt. Wir sehen hier die Politik in der Verantwortung, diesen Austausch zu organisieren. Genau aus diesem Grund haben wir auch dieses Blog gestartet: Nur, wer über ein Projekt informiert ist, ist auch in der Lage, sich eine Meinung zu bilden und mit anderen darüber zu diskutieren. Doch die städtischen Drucksachen laden nicht sehr zum Stöbern ein, sie sind oft umfangreich und setzen Vorkenntnisse voraus. In unserem Blog möchten wir die Prozesse einfacher erklären und Angebote zum Austausch machen. Den Vorstoß von Frau Mauer finden wir deshalb super und möchten zu den von ihr angesprochenen Punkten Stellung nehmen.
1. Öffentliche Bekanntmachungen: Was findet wann statt?
Es stimmt, die Bekanntmachungen auf Papier in der StadtPost wurden im Rahmen von Kosteneinsparungen eingestellt. Neu-Isenburg verfügt über ein Online-Bürgerinformationssystem, das über die städtische Website erreichbar ist. Die dort hinterlegten Informationen sind umfangreich, die Tagesordnungen der Sitzungen und fast alle Dokumente sind öffentlich einsehbar. Etwa 95% aller deutschen Haushalte verfügen über einen Zugang zum Internet – so kann man also theoretisch sehr viel mehr Menschen erreichen als über eine gedruckte Zeitung. Nur müssen die Bürger die Unterlagen auch finden. Im Roman ‚Per Anhalter durch die Galaxis‘ muss Arthur Dent, dessen Haus einer Umgehungsstraße weichen soll, zur Einsicht der Pläne in den Rathaus-Keller. Ohne Licht. Dort liegen sie aus, in einem verschlossenen Aktenschrank, in einem unbenutzten Klo mit der Aufschrift ‚Vorsicht, bissiger Leopard‘.
Wer in der Stadt Neu-Isenburg bei einer Sitzung zuschauen möchte, muss auf der Website der Stadt nach ‚Bekanntmachungen‘ suchen (und wissen, dass das der richtige Suchbegriff ist). Auf der dann als Suchergebnis erscheinenden Seite ‚Öffentliche Bekanntmachungen’ muss er dem Link zum Bürger- und Ratsinformationssystem folgen. Dort kann er entweder auf ‚Sitzungen‘ klicken (dort sind nur die bevorstehenden Termine zu finden, nicht die vergangenen) oder über die drei Striche oben links den Kalender aufrufen. Intuitiv ist anders – und ein wenig könnte man schon den Eindruck gewinnen, dass der Zugang für die Bürger keine Priorität hat.
Wir regen an, den Sitzungskalender gut sichtbar auf der städtischen Website zu verlinken. Am besten gleich oben im Roten Kasten „Meine Stadt, mein Service‘. Wer draufklickt, kommt dann direkt zum Kalender. Hier schon mal der Link für unsere Leser:
https://neuisenburg.gremien.info/calendar.php
2. Sitzungsunterlagen: Besucher nicht alleine lassen!
Früher wurden die Sitzungsunterlagen vor dem Plenarsaal in Papierform zu Verfügung gestellt, dieser Service wurde eingestellt. Den Verzicht auf Papier begrüßen wir grundsätzlich, doch es wird aktuell keine Alternative angeboten. Für die Besucher ist es ohne Tagesordnung schwer, den Sitzungen zu folgen – vor allem, da oft nur die Nummern genannt werden („Wir behandeln die Tagesordnungspunkte 3, 4 und 7 ohne Diskussion, für die Tagesordnung 2 schlage ich Ihnen die Punkte 9, 11, 14 und 18 vor!“).
Alle Informationen, die der Besucher sich wünschen würde – die Tagesordnung und die dazugehörigen Unterlagen – sind öffentlich online verfügbar. Nur hat nicht jeder ein entsprechendes Gerät dabei und/oder findet sich eventuell auf die Schnelle nicht im Bürgerinformationssystem zurecht. Wir schlagen daher vor…
…in den öffentlichen Bekanntmachungen darauf hinzuweisen, dass die Unterlagen digital verfügbar sind und dass ein eigenes Tablet, Laptop oder Handy mitgebracht werden kann. WLAN ist vorhanden, vor Ort könnte ein Hinweis auf den Link zum Sitzungskalender und ein QR-Code angebracht werden.
…zusätzlich iPads für Besucher anzuschaffen, auf denen nur die DiPolis-App (mit allen Unterlagen) installiert ist. Die Ausgabe sollte kein Problem sein, da zu jeder Sitzung Mitarbeiter der Verwaltung anwesend sind.
…zu prüfen, ob zur Stadtverordnetenversammlung auf dem Besucherbalkon 1-2 Monitore aufgestellt werden können, die den jeweils aktuellen Tagesordnungspunkt inklusive Beschlusstext anzeigen.
3. Bürgerversammlung: wichtig für eine gemeinsame Zielvorstellung!
Über viele wichtige Themen wird oft über längere Zeiträume nicht mehr öffentlich berichtet: Wo steht die Stadt mit der Haushaltskonsolidierung, wie ist der Stand bei der Realisierung der RTW, wie geht es mit der Hugenottenhalle weiter, wird die Straßenbahn bis nach Langen verlängert – und sollten nicht die Frankfurter Straße umgestaltet und der Alte Ort barrierefrei gepflastert werden?
Diese Themen müssen die Bürger einordnen können, um sich eine Meinung zu bilden und ihre Beteiligungsmöglichkeiten nutzen zu können. Durch die langen Pausen in der Berichterstattung wissen die Neu-Isenburger oft nicht, ob sich das Thema mittlerweile erledigt hat, Probleme den Fortschritt behindern oder gerade intensiv daran gearbeitet wird. Deshalb sollten Bürgerversammlungen regelmäßig stattfinden, um beide Seiten auf aktuellem Stand zu halten. Nicht nur die Bürger werden hier informiert – auch Politik und Verwaltung können wertvolle Rückmeldungen aus der Stadtgesellschaft erhalten.
Diese Auseinandersetzung mit den Bürgern sollte von der politischen Seite nicht als störend empfunden werden – sie ist ein essenzieller Bestandteil für eine erfolgreiche und bürgernahe Politik.
In Neu-Isenburg gibt es Bürgerversammlungen zu speziellen Themen, zuletzt eine Dialogrunde zur RTW am 20. Februar 2024 und eine Informationsveranstaltung Ende Mai 2024, in der die Entwürfe zum Umbau der Hugenottenhalle präsentiert wurden. Leider sind nicht alle Veranstaltungen gut besucht und wir sind der Meinung, dass dafür früher und intensiver geworben werden sollte.
4. Senioren beteiligen: Ja, aber…
Der von Frau Mauer genannte §8c der hessischen Gemeindeordnung regelt in der aktuellen Fassung allgemein die Beteiligungsmöglichkeiten von Beiräten, Kommissionen, Sachverständigen und ausdrücklich von Kindern und Jugendlichen in den Organen der Gemeinde. In Neu-Isenburg wurde vom Jugendforum ein Kernteam gebildet, dass an den Sitzungen der Fachausschüsse teilnimmt und ein Rede- sowie ein Antragsrecht besitzt. Die besondere Beteiligung von Jugendlichen über diese Regelung ist sinnvoll, da sie aufgrund von Altersbeschränkung weder wählen noch gewählt werden können, gleichzeitig aber von langfristigen Folgen politischer Entscheidungen betroffen sind.
In der Novellierung des Kommunalwahlrechts wird nun auch ausdrücklich auf die Beteiligungsmöglichkeit von „älteren Menschen“ hingewiesen:
(1) Die Gemeinde kann zur Wahrung der Interessen älterer Menschen einen Beirat einrichten. Anstelle eines Beirates kann auf Beschluss der Gemeindevertretung auch ein Beauftragter für die Belange älterer Menschen bestellt werden.
Die Gemeinde kann somit entscheiden neben der Beteiligung von Jugendlichen auch einen Seniorenbeirat oder einen Seniorenbeauftragten zu installieren. Aber wäre das auch ebenso gerechtfertigt?
Die ältere Generation ist im Stadtparlament mehr als gut vertreten und besitzt aktives und passives Wahlrecht. In vielen Entscheidungen werden die Interessen der Senioren bereits mitgedacht, da sie selbst aktiv am Prozess beteiligt sind – im Gegensatz zu den Jugendlichen.
Bereits jetzt sind wir auf verschiedenen Arten organisiert: in Fraktionen, in Fachausschüssen und in AGs. Immer weitere Gruppen im Parlament mit Sonderrechten auszustatten, erscheint uns nicht zielführend. Wir sind eine Gemeinschaft und sollten uns auch so verstehen. Nur Mitglieder der Stadtgesellschaft, die von der politischen Arbeit ansonsten ausgeschlossen wären, sollten zusätzlich reingeholt werden. Beispiele dafür sind unser Jugendforum und der Ausländerbeirat.
Wir sehen die Verantwortung bei der Politik, verschiedene Perspektiven zu berücksichtigen und sich für alle Bürger einzusetzen. Erfolgt das nicht ausreichend, haben aufgrund unserer Demografie gerade Senioren die Möglichkeit, mit ihrer Wählerstimme Korrekturen zu erwirken.
5. Online-Verfügbarkeit der Sitzungen: sorgfältig prüfen!
Die Videoaufzeichnung von Sitzungen hat Vor- und Nachteile. Eine Diskussion bequem von zu Hause verfolgen zu können statt im Rathaus auf den Besucherplätzen, könnte die Beteiligung für Einige attraktiver machen. Momentan ist das Interesse der Bürger leider gering.
Eine Aufzeichnung und dauerhafte Speicherung der Sitzungen kann aber auch dazu führen, dass noch weniger Parlamentarier sich öffentlich mit Redebeiträgen beteiligen. Schlimmstenfalls schreckt die ‚ewige‘ Online-Verfügbarkeit sogar potentielle Kandidaten fürs nächste Parlament ab. Wenn die Gefahr besteht, dass aus dem Zusammenhang gerissene Ausschnitte zur Kampagnenführung gegen einzelne Kandidaten oder Parteien auf Social Media genutzt werden, wird das Ziel eines leichteren Zugangs zu parlamentarischen Debatten und zu Sachinformationen am Ende vielleicht sogar behindert.
Ein Kompromiss könnte die Live-Übertragung ohne anschließende Speicherung oder eine zeitlich limitierte Verfügbarkeit (z.B. bis zur nächsten Sitzungsrunde) sein. Wir denken, dass diese Entscheidung vom nächsten Parlament getroffen werden sollte, da die aktuelle Legislaturperiode nur noch ein Jahr dauert.
Unsere Ideen zur Bürgerbeteiligung haben wir einem Antrag formuliert, den wir zur Stadtverordnetenversammlung im Mai einbringen werden.
[Kati Conrad, Oliver Hatzfeld]