Smart City Tour: für Sensoren sensibilisieren

Ich fahre nicht so gerne Zug, auch wenn es durch digitale Hilfsmittel wie zum Beispiel dem DB Navigator App und dem Check-In per Handy komfortabler geworden ist. Doch das Hessische Ministerium für Digitalisierung und Innovation hatte nach Kassel zur ‚Smart City Tour‘ eingeladen, und so fuhr ich zwischen der Frau, die gerade am Telefon mit ihrer Partnerin Schluss machte, der schlimm erkälteten Frau ohne Stimme und dem jungen Mann im Kleid, der mit einem Seil übte, eine Galgenschlinge zu knüpfen, mit dem ICE in Richtung Nordhessen.

Treffpunkt war der Science Park auf dem Universitätsgelände, wo sich einige Unternehmen kurz vorstellten. Für Neu-Isenburg relevant fand ich diese beiden:

Selbstbedienung…nur wo?

Die Firma Care IoT aus Schwalmstadt bietet das SmartStore-System LEA an. Das ist vergleichbar mit Teo von Tegut und REWE ToGo, rüstet aber im Gegensatz dazu bestehende digital Läden um, statt auf einheitliche Container zu setzen. Im Laden kann der Kunde sich selbst bedienen, seine Artikel einscannen und anschließend mit Karte bezahlen. Für die Container-Lösung müssen oftmals Parkplätze wegfallen, außerdem sind freie Flächen in guter Lage rar. LEA eignet sich für leerstehende Läden, kann aber auch zusätzlich eingesetzt werden, wo sich eine Besetzung mit Verkaufspersonal nur stundenweise lohnt. 

In Neu-Isenburg ging gerade das Aus für den geplanten Teo-Markt in Zeppelinheim durch die Presse. Der Verwaltungsgerichtshof in Kassel hatte verfügt, dass hessische Selbstbedienungs-Supermärkte nicht mehr an Sonn- und Feiertagen öffnen dürfen. Daraufhin stoppte Tegut die Vorbereitungen für alle geplanten Teos bis auf Weiteres. Für die rund 1600 Zeppelinheimer sehr frustrierend, denn seit etwa 10 Jahren gibt es im Stadtteil kein Lebensmittelgeschäft mehr, Buslinien in die Kernstadt wurden eingeschränkt. LEA scheint zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, sie stellt die Versorgung der Bürger sicher und wirkt Leerstand entgegen. Das Problem ist nur: Es gibt keinen Laden in Zeppelinheim, also auch keinen leeren. Das SmartStore-System liesse sich natürlich auch in anderen Gebäuden installieren…nur wo könnte das in Zeppelinheim sein?

Strom- und Wasserzähler als Beschützer

Das Unternehmen Veli ist direkt im Science Park angesiedelt und setzt künstliche Intelligenz (KI) ein, um Energiedaten wie den Wärme-, Strom- und Wasserverbrauch auszuwerten. So können nicht nur die Bewohner bei einer vergessenen Herdplatte oder einem Rohrbruch gewarnt oder Einsparpotenziale aufzeigt werden werden – die Daten erlauben auch Rückschlüsse darauf, ob ein Notfall vorliegt. Dazu sind keine Sensoren oder Kameras nötig, lediglich – sofern nicht schon Smart Metering eingesetzt wird – eine kleine Umrüstung am Zähler selbst. Die KI analysiert das typische Verhalten der Bewohner anhand ihres Verbrauchsverhaltens und erkennt Unregelmäßigkeiten. Wird zum Beispiel kein Strom mehr verbraucht oder rauscht stundenlang das Wasser durch, kann dem Bewohner etwas zugestoßen sein, eine Notrufzentrale wird informiert. Diese Technologie ist besonders fürs betreute Wohnen interessant, denn mit Kameras und Sensoren in der Wohnung fühlen sich die meisten Senioren unwohl, der rote Notfallknopf wird oftmals gar nicht getragen. Das System ermöglicht ein selbstbestimmtes Leben ohne das Gefühl ständiger Überwachung.

Angesichts des Personalmangels gerade im Bereich Pflege könnte ein solches Warnsystem auch für Neu-Isenburger Wohnanlagen interessant sein.

Nach der Vorstellung der Unternehmen starteten wir die eigentliche Tour gemeinsam im Bus. Drei Projekte standen auf dem Plan:

Sensoren – einfach mal ausprobieren

Rund um das Schwimmbad ‚Auebad‘ im AUREA Sensorik Reallabor testet die Stadt Kassel viele verschiedene Arten von Sensoren, die die Stadt smarter, sicherer, komfortabler und nachhaltiger machen können. Das Gelände wurde ausgewählt, weil es ‚alles‘ hat: ein Gebäude mit Publikumsverkehr, eine Straße, Parkplätze, eine Brücke, einen Fluss, Bäume. Aktuell werden hier die Zahl der Besucher im Schwimmbad, die Luftqualität, die Bodenfeuchte der Bäume und der Wasserstand der Fulda gemessen. Der Verkehr wird gezählt, die Verfügbarkeit der Behindertenparkplätze angezeigt und das Straßenlicht bei Bedarf eingeschaltet. Wir hatten die Gelegenheit, die verschiedenen Sensoren in Aktion zu sehen. Am Schwimmbad gibt es ein Dashboard mit allen Werten, das auch über die Website der Stadt Kassel abgerufen werden kann. Eine App ist in Arbeit.

Was alles möglich ist, wissen wir ja im Prinzip…theoretisch! Im AUREA-Labor wird alles auf Praxistauglichkeit geprüft. Die Sensorik ist außerdem für alle zugänglich, auf kleinen Tafeln wird erklärt, was wo erfasst wird. Die Digitalisierung der Stadt rückt damit ein Stück näher, wird für alle Bürger verständlich und erlebbar. Ein beliebtes Ziel auch für Schulklassen – oder eben für eine Klassenfahrt mit Erwachsenen wie uns.

Alle Daten auf einem Dashboard

Bei der Städtische Werke Netz + Service GmbH wurde uns dann das IoT Dashboard präsentiert – Sensoren erfassen hier Umweltdaten, Energiedaten, Verkehrsdaten und vieles mehr. Der Füllstand der städtischen Mülleimer wird außerdem mit Sensoren erfasst – ein Feature, das wir auch für unsere ‘Neue Welt’ auf dem Plan haben.

In Neu-Isenburg erfassen die Stadtwerke bereits heute zusammen mit Mainova Grundwasserdaten, Umweltdaten für den Winterdienst und den Wasserbedarf einiger Bäume im Birkengewann. Ein kleines Dashboard haben wir auch schon – integriert am Turm vor der Hugenottenhalle. Dort wird die Wasser- und Luftqualität angezeigt, außerdem Daten zum Pollenflug und das Wetter. Das System ist bereit für weitere Anwendungen und könnte nach und nach mit neuen Sensordaten gefüttert werden. Ein echter Mehrwert für die Bürger könnte das Verkehrsaufkommen oder die Auslastung städtischer Parkhäuser sein. Auch eine Integration des Dashboards auf der Website der Stadt wäre wünschenswert.

Grüne Welle – nicht nur für Autos!

Wieder zurück im Bus hatten wir Gelegenheit, die App Traffic Pilot kennenzulernen. Die Handy-Anwendung verwendet aktuelle Positionsdaten und Ampeldaten, um Auto- oder Fahrradfahrer geschmeidig und vorausschauend durch den städtischen Verkehr zu lotsen. Sie zeigt an, wann Ampeln wieder auf Grün schalten und empfiehlt eine Geschwindigkeit, mit der man auf der grünen Welle reiten kann. Ich als ungeduldige Autofahrerin könnte mir vorstellen, dass das für Verkehrsteilnehmer ohne App nicht nachvollziehbare Schleichen beim Hintermann Aggressionen auslöst – er weiß ja noch nicht, dass der Vorausfahrenden etwas Nettes für ihn tut. Hier empfehle ich einen Aufkleber ‚Nicht hupen, Sie werden mir noch dankbar sein!‘. Die Neu-Isenburger Ampeln sind zwar nicht für diese Technik ausgerüstet, aber ganz in der Nähe, in Heusenstamm, könnt Ihr das System mal testen!

Eine App namens LOC.id verhilft Menschen mit Sehbehinderung zur grünen Welle. Wer sie installiert hat, bucht sich durch simple Annäherung automatisch bei Fußgängerampeln ein, die Ampel verstärkt das akustische Signal und schaltet auf Grün, ohne dass ein Knopf gedrückt werden muss. Auch E-Scooter, die entsprechend ausgerüstet sind, kommunizieren mit der App und geben ein Warnsignal ab, damit die blinde Person nicht darüber stolpert – ein immer relevanteres Problem in unseren Städten. Hier denken wir an all die Missstände, die unsere blinde Mitbürgerin Lydia bereits aufgezeigt hat und könnten uns vorstellen, uns diese App für Neu-Isenburg mal näher anzuschauen.

Kassel setzt ausserdem im Stadtgebiet etwa 100 Road Side Units ein, über die der Verkehr gezählt oder auch Einsatzfahrzeugen (Feuerwehr, Krankenwagen) eine Bevorrechtigung erteilt werden kann: Im Notfall schaltet die Ampel schnell auf Grün.

In der Digitalisierung und Vernetzung der Lichtsignalanlagen, gerne Ampeln genannt, steckt also sehr viel Potential zur Optimierung des Verkehrsflusses, gerade auch im Hinblick auf die neue Verkehrssitiuation, die durch den Bau der RTW entsteht. Die Züge sind sehr lang, die beiden Fahrbahnen durch die Schiene getrennt – und auch hier kann es sein, dass die Feuerwehr die Gleise überqueren muss.

Wieder zurück im Science Park gab es noch einen kleinen Imbiss – und ich erfuhr, dass in der Stadt Calden im Landkreis Kassel sogar die Wurst digitalisiert wurde: Die Uni Kassel hat ein Programm entwickelt, mit dem die Reifung der traditionellen nordhessischen ‘Ahlen Wurst’ mit KI überwacht und gesteuert wird.

Für mich war die Veranstaltung informativ und kurzweilig, viele nette Kontakte sind entstanden. Vielleicht gibt es ja eines Tages auch eine Smart City Tour durch Neu-Isenburg – das gerade entstehende Stadtquartier ‚Neue Welt‘ soll ja Pilotprojekt für Digitalisierung werden. Bis dahin heißt es aber: dranbleiben! Die Entwicklung geht hier rasend schnell und andere Städte haben uns bereits überholt.

[Kati Conrad]

Dies ist ein privates Blog. Wir sind Mitglieder der CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung, schreiben hier aber nicht im Namen der Fraktion oder der Partei.

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