Computer zum Kuscheln: die Daten-Durchlauferhitzer

Wir sitzen mittendrin im Herzen der Digitalisierung, wusstet Ihr das? Der Anteil großer Rechenzentren am Stromverbrauch in Deutschland nimmt stetig zu, und der wichtigste Standort solcher Zentren ist das Land Hessen. Konkret der Raum Frankfurt, wo sich etwa ein Drittel der Deutschen Rechenkapazität und außerdem Euopas wichtigster Netzwerk-Knoten DE-CIX befindet. Beim Betrieb dieser Serverfarmen entsteht sehr viel Wärme – wir zu Hause bemerken das am leisen Brummen des Lüfters, der in unserem Computer den Prozessor kühlt. Theoretisch könnte die Wärme, die beim Betrieb der Frankfurter Rechenzentren entsteht, heute schon etwa 20 Prozent des Wärmebedarfs aller Haushalte und Unternehmen in der Mainmetropole decken! 

In der Praxis war das bisher allerdings nicht so einfach. Die Rechner sind in der Regel luftgekühlt, und diese Wärme kann nur mittels Wärmepumpen für uns nutzbar gemacht werden – also mit noch weiterem Stromverbrauch. Eine praktikable Lösung dafür hat das Dresdner Unternehmen Cloud & Heat entwickelt. Im Eurotheum, einem Hochhaus (110 Meter) in der Innenstadt werden die Server mit Wasser gekühlt. Das Wasser erreicht dabei eine Temperatur von etwa 60 Grad, die direkt zum Heizen genutzt werden kann. Das spart den Mietern des Gebäudes im Vergleich zur konventionellen Beheizung mittels Fernwärme im Jahr bis zu 160.000 Euro Kosten für Gebäudeheizung und Serverkühlung – und dazu noch 557 Tonnen CO2.

Eine weitere Herausforderung ist, dass der Weitertransport der Wärme sich für einzelne Haushalte nicht rentiert – ein Fakt, der sich durch steigende Kosten fossiler Energien wie Heizöl und Erdgas und durch neue gesetzliche Vorgaben aber gerade verändert. Dazu kommt, dass der Wärmeverbrauch in Städten durch immer bessere Dämmung eher sinkt, während die Leistung der Rechenzentren sich in den kommenden Jahren voraussichtlich mehr als verdoppeln wird. Dass künftig immer höhere Rechenleistung benötigt wird, zum Beispiel für Cloud Computing, Künstliche Intelligenz und Augmented Reality, steht ausser Frage. Das bedeutet: Die Nutzung der Abwärme wird zunehmend wirtschaftlicher. Besonders sinnvoll ist die Anwendung bis dahin immer noch für große Abnehmer wie eben das Hochaus, für Schwimmbäder, ganze Industriegebiete oder Stadtteile. Und hier kommt Neu-Isenburg ins Spiel.

Auf dem ehemaligen Rundschau-Gelände an der Rathenaustraße plant die internationale Goodman Group ein hochmodernes Rechenzentrum, mit dessen Abwärme die umliegenden Haushalte und Unternehmen beheizt werden sollen. „Das Ziel ist, mit der Energie sowohl das Gewerbegebiet Süd als auch das Neubaugebiet Neue Welt zu versorgen“ erklärt Stadtwerke-Geschäftsführer Kirk Reineke, der derzeit zusammen mit Goodman und dem künftigen Betreiber des Rechenzentrums an einem Konzept arbeitet, wie die entstehende Abwärme bestmöglich genutzt werden kann – ein wichtiger Beitrag zu unserer kommunalen Wärmeplanung. Für die Neue Welt ist die Versorgung mit Fernwärme geplant, dazu soll – wie jetzt bereits schon im Birkengewann – die Abwärme aus Blockheizkraftwerken genutzt werden, die Strom mit Hilfe von Gas erzeugen. Ein Prozess, der im Zuge der gesetzlich vorgeschriebenen Dekarbonisierung zukünftig verändert werden muss, da fossile Brennstoffe nur noch anteilig verwendet werden dürfen. Das bedeutet für Neu-Isenburg: Wenn es gelingt, dass Rechenzentrum mit Ökostrom zu betreiben, könnten die Neue Welt und das Gewerbegebiet Süd CO2-frei beheizt werden. Auch eine Ausweitung der Wärmeversorgung darüber hinaus ist perspektivisch denkbar, was für die Bürger Fragen aufwirft: Wer könnte angebunden werden? Und wäre damit eine Ersparnis verbunden? Wir bleiben auf jeden Fall dran und berichten von neuen Entwicklungen.

In einem früheren Artikel sprachen wir darüber, wie unsere Ökonomie das Aussehen unserer Städte bestimmt, so wie einst mit der beginnenden Industrialisierung überall Fabrikschornsteine in die Höhe schossen. In unserer heutigen Dienstleistungsgesellschaft haben wir als Wirtschaftsstandort das Problem, dass Firmen – anders als einst große Produktionsstätten, die man in Deutschland immer weniger findet – kaum noch an einen Standort gebunden sind. Sie können einfach die Laptops zuklappen und umziehen. Das macht eine langfristige Planung mit Gewerbesteuereinnahmen für die Stadt schwierig. Mit Rechenzentren, die durch die zunehmende Anbindung ans Wärmenetz wieder stark ortsgebunden sind, entsteht eine neue Form der Abhängigkeit: So wie große Fabriken einst wichtige Arbeitgeber in ihrer Region waren, so ist auch hier wieder das Schicksal der Bewohner eng mit dem Unternehmen verknüpft. Was, wenn das Rechenzentrum und damit unsere Wärmeversorgung doch irgendwann umzieht oder pleite geht? Neu-Isenburg muss als Wirtschaftsstandort attraktiv bleiben, damit die Bürger im Winter nicht frieren. Ein unerwartet materieller Nebeneffekt unserer immer digitaleren Gesellschaft.

[Kati Conrad]

Dies ist ein privates Blog. Wir sind Mitglieder der CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung, schreiben hier aber nicht im Namen der Fraktion oder der Partei.

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