Neu-Isenburg, Februar 1889: Die erste, damals noch mit Dampf betriebene Waldbahn trifft festlich geschmückt an der Haltestelle ‚Stadtgrenze‘ ein. Eigentlich war damals schon eine Verlängerung bis nach Langen von der Stadt Frankfurt vorgeschlagen worden, doch die Großherzogliche Regierung in Darmstadt lehnte ab. Man befürchtete, dass dringend im hessischen Großherzogtum benötigte Arbeiter ins preußische Frankfurt abwandern. So war an der Stadtgrenze Neu-Isenburg Schluss.
Neu-Isenburg, November 2025: 135 Jahre nach der Eröffnung ist die Verlängerung der Straßenbahn bis nach Langen erneut im Gespräch. Das Ergebnis einer Machbarkeitsstudie, die gemeinsam von den Städten Neu-Isenburg, Dreieich und Langen sowie der Frankfurter Nahverkehrsgesellschaft traffiQ beauftragt wurde, bescheinigt dieser Idee ein großes Potential.
Die Gutachter errechneten für die Verlängerung der Straßenbahn bis zum Bahnhof Langen einen Kosten-Nutzen-Faktor von 2,2. Ein Wert über 1,0 ist erforderlich, um 90% Förderung von Bund und Land zu erhalten, denn nur dann gilt ein Vorhaben als volkswirtschaftlich sinnvoll. Die technische Machbarkeit wird ebenfalls bescheinigt, ebenso wie die Chance, die drei Innenstädte stadtgestalterisch aufzuwerten und vom Autoverkehr zu entlasten.
Klingt erstmal toll, doch es gibt für Neu-Isenburg viel zu bedenken. Beim Lesen der Studie entsteht vor unserem geistigen Auge ein Bild, in dem glückliche Neu-Isenburger umgeben von Grün auf der Frankfurter Straße in Cafés draußen sitzen, während hin und wieder romantisch eine Straßenbahn vorbeizuckelt und entspannte Radfahrer vom Radweg aus fröhlich winken. Doch die Frankfurter Straße ist gar nicht so breit, dass wir all das haben könnten.
Bereits im Juli 2022 hatten wir Stadtverordnete die Gelegenheit, aus verschiedenen Bestandteilen (Fahrbahn, Gleise, Gehweg, Fahrradweg, Grünstreifen, Parkstreifen etc.) einen Straßenquerschnitt für die Frankfurter Straße zusammenzusetzen. Ergebnis: Wenn wir breitere Gehwege und Platz für Grün wollen, passt kein Radweg mehr hin. Oder es passt ein Radweg, aber es gibt nur einen schmalen Gehweg ohne Grünstreifen. Oder, oder, oder. Alles geht nicht. Aktuell ist geplant, dass die Straßenbahn sich die Fahrbahn mit den Autos in beide Richtungen teilt. Würden wir die Schiene von der Fahrbahn trennen, bräuchten wir sogar noch mehr Platz. Das romantische Bild von der Frankfurter Straße wird also vermutlich von der städtebaulichen Realität überschrieben.
Und dann müssen wir uns natürlich auch fragen: Wie würden wir Neu-Isenburger die Bahn nutzen? Wieviele von uns würden zu Fuß zur Frankfurter Straße laufen und dort in die Straßenbahn einsteigen? Für Fahrräder und vor allem für Autos brauchen wir Abstellmöglichkeiten. Entlang der Frankfurter Straße gibt es da vor allem für PKW-Stellplätze keine Chance. Das Parkdeck auf dem Wilhelmsplatz, das als Lösung für fast alle Parkplatz-Probleme galt, wird nicht kommen, es ist zu unrentabel (man gewinnt entweder zu wenig Parkplätze für zu viel Geld oder muss einen riesigen mehrstöckigen, noch teureren Klotz bauen). Also bleibt uns nur der einzig sinnvolle, große Park & Ride Parkplatz, und der ist – richtig, an der jetzt schon bestehenden Straßenbahnhaltestelle ‚Stadtgrenze‘!
Der Großherzog in Darmstadt entschied sich damals nach Betrachtung der wirtschaftlichen Risiken, seinen eigenen Interessen den Vorrang zu geben. Pendlerverkehr spielte damals keine so große Rolle. Wir müssen heute abwägen: In Neu-Isenburg fürchten wir zwar nicht die Abwanderung von Arbeitskräften – die ist heute normal und es pendeln auch viele in unsere Stadt ein – doch wir werden auch Durchgangsort für Reisende auf der Strecke Frankfurt-Langen. Wer steigt noch aus und kauft hier ein, wenn er einfach sitzenbleiben und nach Frankfurt durchfahren kann? Natürlich ist eine moderne, vernetzte Mobilität wichtig, ebenso die Entlastung vom Durchgangsverkehr. Doch auch für uns in Neu-Isenburg muss das Ganze unterm Strich eine Verbesserung bringen: eine Frankfurter Straße mit höherer Aufenthaltsqualität zum Beispiel, und einen echten Mehrwert für Pendler, die in Neu-Isenburg vom Auto in die Bahn umsteigen möchten.
Bleibt noch das leidige Thema Geld: Aktuell sind aufgrund der miserablen Haushaltslage wichtige und lange beschlossene Großprojekte in Gefahr geraten. Und auch wenn hier 90% Förderung in Aussicht gestellt werden: Bei der RTW liegt die Förderquote sogar bei 95% – dennoch soll Neu-Isenburg nach aktuellem Stand 45 Millionen für die Schiene selbst aufbringen, dazu noch über 60 Millionen für den dazugehörigen Straßenbau. Ein Ende der Kostenentwicklung ist noch nicht in Sicht. Auch das Projekt Straßenbahn könnte derartig aus dem Ruder laufen. Unabhängig davon haben wir unsere finanziellen Möglichkeiten schon mehr als ausgeschöpft. Selbst die Finanzierung der RTW ist aktuell nicht möglich, hier wird darüber nachgedacht, Haushaltsregeln per Sondergenehmigung außer Kraft zu setzen. Neue Großprojekte sollten wir erst beschließen, wenn die Finanzierung wieder realistisch möglich ist und die bereits beschlossenen Projekte umgesetzt wurden.
Weiterführende Informationen:
Unser Artikel zur geplanten Potentialanalyse von 2021
Wir basteln uns eine Frankfurter Straße – Bericht vom Workshop
[Kati Conrad, Oliver Hatzfeld]